Duette mit ihm
Über die Freundschaft mit einem Rotkehlchen
Der 17. November 1957 war kalt. Ich radelte zu unserem kleinen Nachbardorf, um Einkäufe zu machen, fuhr geduckt unter Schneetropfen, die von den hohen Tannen am Wege fielen, und so sah ich - halb ins Laub des Straßenrandes versteckt - ein Vöglein sitzen. mehr >>
Verlag Freies Geistesleben
Der 17. November 1957 war kalt, zwischen Schnee und Regen. Wir Ostpreußen sagten zuhause: »es schlackt«. Ich radelte zu unserem kleinen Nachbardorf im Odenwald, um Einkäufe zu machen, fuhr geduckt unter Schneetropfen, die von den hohen Tannen am Wege fielen, und so sah ich - halb ins graubraune Laub des Straßenrandes versteckt - ein Vöglein sitzen; seine Rückenfarbe war kaum von der des Herbst-Bodens zu unterscheiden. Ich stellte mein Rad an die andere Seite der Straße und ging sehr vorsichtig zu dem Kleinen. »Du Armer, was ist mit Dir hier in der Kälte«? Er flog nicht fort. Ich zog langsam die noch in der Tasche trocken liegenden Handschuhe an, damit er sich nicht vor meiner Menschenhand erschrecken sollte, nahm ihn behutsam, sah, dass es ein kleines Rotkehlchen mit verletztem Oberschenkel war und wahrscheinlich einer Kopfprellung, setzte es in meine offene Einkaufstasche und dachte: »ob ich´s wohl noch lebend ins Dorf bringe«? Und so beginnt eine Freundschaft mit einem Rotkehlchen.